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Komplexe Systeme - Komplexe Netzwerke

Artikel vom 09.10.2008

Komplexe Systeme - Die Physik des 21. Jahrhunderts

Nachhaltigkeit, ein vernetztes Denken und die ganzheitliche Betrachtung sind Schlagworte, die uns heutzutage immer wieder einholen. Doch was steckt dahinter?

Die Erkenntnis der Menschen, dass wir es in unserer Umwelt mit komplexen Systeme zu tun haben, setzt sich langsam durch. Ob in der Ökonomie (Börse), der Klimaforschung oder dem Management von Firmen. Der gesunde Menschenverstand beschreibt dieses Verhalten kurz mit: „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“

Unser bisheriges Verständnis der Naturgesetzte basiert auf Linearität. Vielleicht fällt es uns deshalb so schwer, komplexe Systeme hinreichend genau zu beschreiben, da diese keine Linearität aufweisen. Das heißt, eine Wirkung kann nicht mehr direkt auf eine Ursache zurück geführt werden. Doch unsere Umwelt ist komplex und wir entwickeln langsam ein Verständnis dafür.

Speziell die Kommunikationsnetze weisen heute vermehrt komplexe Strukturen auf. Einfache Komponenten mit vordefinierten Handlungsparametern sind zunehmend Bestandteil von sich selbst organisierenden und sich selbst konfigurierenden Netzen: Die so genannten Wireless Personal Area Networks. Sensoren und Aktuatoren erfüllen ihre Dienste unter der Regie von Controllern nahezu eigenständig. Sie kommunizieren mit ihren Nachbarn und eine übergreifende Software sorgt dafür, dass Szenarien schnell und ohne großes Zutun des Anwenders ausgeführt werden. Die Automatisierung von Prozessen wird immer dynamischer und ist nicht mehr von nur einem Parameter abhängig.

Komplexität bedarf einer übergreifenden Zusammenarbeit unterschiedlicher Bereiche, sei es in der Wissenschaft oder in unserem alltäglichen Leben. Nur wenn wir uns diesem Gesetz verpflichten, sind wir in der Lage, die komplexen Zusammenhänge eines Systems in allgemein gültige Gesetze zu fassen.

Wann ist ein System komplex?

Ein System ist ein Gebilde unterschiedlicher Elemente, die gegenüber der Umwelt als Einheit abgegrenzt sind. Einfache Systeme können durch den direkten Zusammenhang von Ursache und Wirkung beschrieben werden.

Komplizierte Systeme bestehen aus sehr vielen, unterschiedlichen Einzelteilen und Reaktionen dieser Einzelteile untereinander. Die Einzelteile und deren Reaktionen sind für sich alleine und zusammen genommen jedoch einfach mathematisch beschreibbar. Daher sind sie im weitestem Sinne vorhersagbar und weisen somit einen gewissen Grad an Linearität auf. Das heißt, sie zeigen ein stabiles Verhalten.

Dynamische Systeme sind mathematische Modelle für zeitabhängige Prozesse. Lineare, dynamische Systeme weisen zu bestimmten Zeiten einen vorhersagbaren, stabilen Zustand auf.

Komplexe Systeme bestehen ebenfalls aus sehr vielen Einzelteilen und deren Reaktionen untereinander. Die Reaktionen sind jedoch nicht vorhersagbar (nichtlineare chaotische Reaktionen), können aber unter bestimmten Faktoren stabile Zustände einnehmen. Sie weisen Eigenschaften auf, die nicht aus den Eigenschaften der Einzelsysteme erklärt werden können (Emergenz) und ihre Zustände und/oder Zustandsabfolgen können ebenfalls chaotisch sein.

Komplexe Systeme sind nicht ganz dicht!

Komplexe Systeme sind im allgemeinen offene Systeme. Sie stehen in ständigem Kontakt mit ihrer Umgebung (Änderung von Randbedingungen) und befinden sich nicht im thermodynamischen Gleichgewicht. Das heißt, sie tauschen mit ihrer Umgebung Masse, Energie, … etc. aus.

Auch das chaotische Verhalten aus der Thermodynamik (Entropie: Jedes System strebt den Zustand seiner höchstmöglichen Unordnung an, der irreversibel ist) reicht nicht aus um komplexe Systeme hinlänglich zu beschreiben. Komplexe Systeme können durchaus stabile Zustände hoher Ordnung annehmen.

Wenn es zur Selbstorganisation komplexer Systeme kommt, nimmt die Entropie (Unordnung) ab. Dabei ist es nicht relevant, ob dies geordnete Strukturen oder Abläufe des Systems sind. In jedem Fall benötigt das System zugeführte Energie. Ein Selbstorganisationsprozess setzt dann ein, wenn die Energiezufuhr eine kritische Größe überschritten hat.

Beispiel: Konvektionsströme beim kochen von Wasser.

Nichtlinearität & "Seltsame Attraktoren" - Warum der Schlag eines Schmetterlingsflügels einen Hurricane auslösen kann …

Für die kleinen Einzelteile eines komplexen Systems gelten einfache Beschreibungen: Masse, Dimensionen (Höhe, Breite, Tiefe), physikalische Gesetze (Impuls, Schwingung, …). Ebenso für die, im Einzelnen gesehenen, Wechselwirkungen. Diese Einzelbeschreibungen sind für sich gesehen linear und durchaus vorhersagbar.

Das Gesamtsystem verhält sich jedoch nicht linear. Kleine Störungen oder Änderungen im System, den Anfangs– oder Randbedingungen führen rasch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Instabile Systeme können sehr rasch von einem Zustand (stabil oder instabil) in einen anderen Zustand wechseln (Phasenübergang).

Die 1963 von dem Meteorologen Edward N. Lorenz bei der Berechnung von Wettermodellen geprägte Bezeichnung „Schmetterlingseffekt“ geht eigentlich nicht auf das Insekt zurück, sondern auf den von ihm bei der Berechnung des mathematischen Modells eingeführten „Lorenz-Attraktor“, der im Phasenraum die Form eines Schmetterlingsflügels aufweist.

Die Bezeichnung seltsamer (oder chaotischer) Attraktor beschreibt Zustände oder Zustandsfolgen, bei denen ein komplexes System stabil ist.

Selbst ist das System!

Selbstorganisation (Synergeitk) und Selbstregulation spielen bei komplexen Systemen eine große Rolle. Auch wenn sie nicht vorhersagbar sind, zeigen komplexe Systeme eindeutige Anzeichen, wenn es zu einem Phasenübergang kommt. Die moderne Wissenschaft ist sich einig: Es gilt, diese Anzeichen so genau als möglich zu bestimmen, wenn man die Auswirkungen verstehen will.

Die Selbstorganisation ermöglicht das Bilden stabiler Strukturen, die ihrerseits in der Lage sind, ein thermodynamisches Ungleichgewicht aufrecht zu erhalten. Alle Teile des Systems tragen dazu bei, egal ob es sich um organisierende, gestaltende oder lenkende Systemkomponenten handelt. Daher sind komplexe Systeme auch weitgehend autonom, wenn sie einen stabilen Zustand erreicht haben.

Das spontane Auftreten einer neuen, stabilen, effizient erscheinenden Struktur oder Verhaltensweise wird durch einen Organisator (Ordner) ausgelöst, der mit seinem Zustand andere Systemkomponenten anregt, sich ebenso zu verhalten. Man spricht dabei von Muster– oder Clusterbildung in offenen Systemen. Das System lernt gewissermaßen, dass dieser Zustand effektiv ist.

Durch Selbstregulation ist das System fähig, sich durch geeignete Rückkopplungen im stabilen Gleichgewicht zu halten.

Synchronisation mit (Sub-)Systemen

Ein komplexes System kann nie als Einzelsystem betrachtet werden. Da es unter anderem durch seine Randbedingungen bestimmt wird, und in hohem Maße Rückkopplungseffekte auftreten, sind benachbarte Systeme sowie dem System untergeordnete Subsysteme ebenso zu berücksichtigen. Sie können auf das Verhalten eines komplexen Systems gravierende Auswirkungen haben. Man spricht dabei von verkoppelten Phänomenen. Als Beispiel mag uns aus dem Bereich Klima & Wetter das Phänomen El Nino dienen. Hier sind die Systeme Wasserströmung und Luftströmung derart verkoppelt, dass es zu massiven Auswirkungen kommen kann, wenn eines dieser Systeme gestört wird.

Außerdem zeigen komplexe Systeme eine so genannte Pfadabhängigkeit. Ihr zeitliches Verhalten ist nicht nur von ihrem aktuellen Zustand abhängig, sondern auch von ihrer Vorgeschichte und die Auswirkungen, die andere Systeme darauf hatten. Das macht die gesamte Systemtheorie mathematisch gesehen nahezu unberechenbar.

Beschreibung Komplexer Systeme

Wir wissen, dass komplexe Systeme stabile Zustände einnehmen können (Attraktoren). Wir wissen weiterhin, dass es einer Störung bedarf, um eine Zustandsänderung auszulösen (Mutationen). Wenn wir das System beobachten, können wir verschiedene Regeln feststellen, nach denen das System sich verhält. Wir wissen, dass auch diese Regeln gestört werden können.

Nun können wir Klassifizierungen vornehmen, welche Änderung eines Parameters welchen Zustand wie stört und welche Regel dabei ausgeführt oder neu gebildet wird.

In komplexen Systemen gelten einfache Beschreibungen für die Einzelkomponenten. So auch für die Regeln (z.B. und/oder). Wir müssen aber höllisch aufpassen, dass wir auch alle gültigen Regeln und Komponenten bei der Beschreibung berücksichtigen. Eine Vernachlässigung einer dieser Parameter führt sehr schnell zu massiven Divergenzen gegenüber dem tatsächlichen Verhalten des Systems.

Die exakte Erfassung der Regeln, Komponenten oder Subsysteme und die korrekte Interpretation der daraus resultierenden Ergebnisse gibt uns Aufschluss über das System und lässt Vorhersagen zu.

Dies geht sogar so weit, dass Chirurgen bei der Betrachtung der Oberflächenstruktur eines gewachsenen Organs (z.B. der Lunge) vorher sagen können, wie die Blutgefäße sich in demselben ausgebildet haben.

Komplexe Systeme in unserer Umgebung

Komplexe Systeme begegnen uns jeden Tag, ohne das wir sie manchmal richtig zur Kenntnis nehmen oder ihre Tragweite begreifen. Man könnte soweit gehen dass unser gesamter Lebensraum inklusive unsere Universums ein einziges, komplexes System mit vielen Subsystemen ist.

Die Astronomie beobachtet bei der Anhäufung von Galaxien so genannte Cluster. Die Bildung und Bewegung einzelner Galaxien und Sternensystemen gehorcht Gesetzten und Regeln, die zu bestimmten, stabilen Zustandsausprägungen führen., die die Physik hinreichend gut beschreiben kann. Selbst das Klima auf den einzelnen Planeten ist diesen Gesetzen unterworfen. Wir spüren gerade massiv, was es bedeuten kann, einzelne Faktoren eines ökologischen Gesamtsystems zu beeinflussen.

Sogar das Leben auf unserer Erde kann durch komplexe Systeme beschrieben werden. Die Biologie und die Medizin arbeiten heute mit umfassenden Erkenntnissen zur Evolution und zur Strukturbildung. Ebenso die Chemie in Bezug auf unbelebte Materie. Doch das wohl unbekannteste komplexe System ist der Mensch an sich. Ökonomen, Psychologen und Neurologen versuchen sich seit Jahren an einer geeigneten Systembeschreibung und an der Vorhersagbarkeit seiner Handlungen. Bisher vergeblich.

Strukturchaot Mensch

Der Mensch denkt, er denkt! Doch wie er „denkt“, wird erst seit kurzem von Neurologen entschlüsselt. Die Wahrheit ist ziemlich ernüchternd. Jedenfalls für Philosophen. Man müsste wohl eher sagen, der Mensch lernt und ruft Gelerntes im Gehirn ab. Das Denken an sich ist reiner Zufall, bei dem sich neue Zustände des Informationstranfers und der Verarbeitung dieser Information herausbilden.

Ein menschliches Gehirn ist sehr simpel aufgebaut, wenn wir die chemischen Vorgänge vernachlässigen. Die Synapsen dienen der Informationsübertragung und die Neuronen sind die aktiven Knoten. Die Übertragungszustände sind unterschiedliche Frequenzen der Anregung, die dann wiederum chemische Prozesse auslösen.

Man hat nun festgestellt, dass sich zu unterschiedlichen Wahrnehmungen oder Handlungen unterschiedliche Areale im menschlichen Gehirn zu funktionalen Clustern vereinigen können, deren Übertragungszustände identisch sind. Diese Cluster werden gebildet, indem sich die Regionen eigenständig synchronisieren (Selbstorgani-sation). Je mehr Neuronen zu dem Cluster gehören, desto intensiver das Bewusstsein. Komplexität in Wechselwirkung mit der Außenwelt. Je nachdem, welche Cluster miteinander interagieren, so handelt, fühlt und denkt der Mensch.

Ein Trost für die Philosophen mag sein, dass diese Interaktionen niemals vollständig identisch sind und je nach Situation von Neuem bewertet werden. Es gibt keine zwei gleichen Gedanken, Gefühle oder Handlungen. Das macht den Menschen zu einem einzigartigen Individuum, das sich seiner Umgebung anpassen kann.

Dabei bleibt der Mensch bis ins hohe Alter lernfähig, auch wenn es Zeitgesossen gibt, bei denen wir vom Gegenteil überzeugt sind. Zwar bilden sich die stärksten Vernetzungen der Hirnregionen im Alter von ca. 15 Monate bis 3 Jahre aus; der Verknüpfungsprozess der Nervenzellen setzt sich immer weiter fort, wenn auch mit verlangsamter Geschwindigkeit. Diese Verknüpfungen sind evident, können jedoch durch andere Verschaltungsmaßnahmen unterdrückt werden. So können sich auch Verbindungen zur Signalumleitung bilden, die die erlernten Strukturen umgehen. Ein ständiges Stop & Go im Denkprozess durch das Verschalten entsprechender Synapsen.

Schlau mit dem Web
(Internet-Links)

"Was sind komplexe Systeme?"
Komplexitätsforschung als integrative Wissenschaft
Prof. Dr. Klaus Mainzer
Universität Augsburg

"Komplexe Systeme und nichtlineare Dynamik in Natur und Gesellschaft"
Prof. Dr. Michael Matthies
(Hrsg.)
Universität Osnabrück

"Synergetik: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft"
Prof. Dr. Hermann Haken
Universität Stuttgart

"Strukturbildung in der Biophysik"
Luther, Stefan; Beta, Carsten; Bodenschatz, Eberhard
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen

"Einführung in Komplexe Systeme"
Richard Schorpp
Fachhochschule Aargau

"Komplexe Systeme - Netzwerke"
ein Foliensatz von
Volker Fischer

"Neuronale Netze"
David Kriesel

"Neuronale Netze - Einführung"
von www.neuronalesnetz.de

"Komplexe Adaptive Systeme"
Prof. Dr. Michael Matthies
(Hrsg.)
Universität Osnabrück

"Selbstorganisation in massiv verteilten Systemen"
ein Foliensatz von
Matthias Krüger
TU Cottbus

"Die Freihet, auch anders zu können"
eine Publikation von
Prof. Dr. Thomas Buchheim